Meine Freundin und Kommilitonin Meike hat ihren letzten Sommer in einer der beeindrucksten Orte der Welt verbracht: New York City! Nach unserem Wiedersehen, einem längeren Plausch und ein wenig Brainstorming, hatten wir Lust gekriegt aus ihren Erfahrungen eine kleine Reihe auf Oh Walley zu produzieren. Viel Spaß beim Lesen vom dritten Teil der großen New York Erfahrung einer ganz normalen Berliner Studentin, die es in die weite Welt verschlagen hat.
Deutsche und Amerikaner, das ist ein Vergleich wie Kokosnüsse und Pfirsiche, lernte ich. Hä? Amis sind Pfirsiche. Fruchtig, saftig, oberflächlich lecker und sweet. Am Kern beißt man sich die Zähne aus. Man kommt leicht in ein Gespräch und noch bevor man die Gelegenheit bekommt, sich namentlich vorzustellen, erfährt man die selbstloseste Hilfsbereitschaft, mentale Unterstützung und die nettesten Komplimente. Hell yasss! You go gurl! You totally rock it. You are such a darling. Innerhalb von fünf Minuten wirst du zum best friend oder funniest person ever erklärt. Morgen früh wird sich aber wahrscheinlich niemand mehr an deinen Namen erinnern (schließlich hattest du ja nicht die Zeit, dich vorzustellen, bevor du geheiligt wurdest). Zum engen Kreis eines Amerikaners zu gehören ist verdammt harte Arbeit. Five minute friendship. Pfirsiche.
Die Deutschen sind hier die Kokosnüsse. Smalltalk ist nicht unsere Stärke. In Aufzügen wird verklemmt geschwiegen, in öffentlichen Verkehrsmitteln neigen sich scheu die Köpfchen. Was flüchtige Bekanntschaften betrifft, ist der Klischee-Deutsche eine verdammt harte Nuss. Ist aber die Schale geknackt, die Neugier geweckt und die Zunge gelockert, werden wir zur sprechenden Pina Colada. Am liebsten philosophieren wir die ganze Nacht über Gott, die Welt, den Klimawandel, Politik, Veganismus und den Sinn des Lebens. Locked in an everduring friendship. Jetzt könnte man natürlich argumentieren, dass eine Kokosnuss wie ich, die nach New York fliegt, um Freundschaft mit ein paar Pfirsichen zu schließen, keine echte Kokosnuss sein kann. Aber selbst wenn ich weiterhin in meinem schwarz-weiß-Denken die Menschheit in nationalen Stereotypen über einen Kamm schere, geht die Rechnung hier nicht mehr auf. Schließlich ist New York gar nicht Amerika. Ha! Das weiß doch jeder. Das zählt gar nicht. Als temporary Brooklyn resident kann ich kaum behaupten, Amerika gesehen zu haben. Die Leute sind nicht übergewichtig, würdigen gutes Essen und kein Fast Food Junk, die ‘murica Flaggen in Vorgärten lassen sich an einer Hand abzählen und naja – bis kurz vor Schluss hielt ich die Trump-Wählerschaft ehrlich gesagt für einen Mythos. Einen verdammt zynischen Aprilscherz. Was soll ich sagen – wir wissen es jetzt besser. Aber ich schweife ab. Jedenfalls habe ich in meinem gesamten Aufenthalt nicht einmal ein einziges Walmart gesehen.
Im besten Fall sind New Yorker eine vielleicht Pfirsichzüchtung mit Kaffeebohnenkern. Iced Coffee ist dort nicht nur im Hochsommer ein real big deal.
Lassen wir das mit den Fruchtklischees. Letztendlich gibt es ja überall solche und solche. Kokosnüsse, Pfirsiche, scharfe Latino Paprikas, lasche Gurken. So betrachtet sind Pfirsiche eigentlich eine ganz gute Auslese.
Mit diesem Konzept der nationalen Vorurteile und amerikanischer Leichtigkeit im Hinterkopf wollte ich an meinem zweiten Wochenende in New York das Nachtleben Manhattans bestreiten. Ich war schon über eine Woche alleine unterwegs, kannte keine Menschenseele in dieser Stadt und wollte nach einem einsamen Netflix-Freitag nicht auch noch den Samstagabend in meinem Schlafgemach versauern. Wie schwer kann es schon sein, in einer Millionenmetropole unter Leute zu kommen? Rückblickend lache ich mich gerade selber etwas aus. Furchtlos und bereit für neue, wenn auch nur kurzweilige Freundschaften stürzte ich mich voller Zuversicht in die Nacht – und scheiterte schon katastrophal bevor ich Manhattan überhaupt erreicht hatte.
Den Sonnenuntergang wollte ich von den Brooklyn Heights anschauen und von dort aus nach Manhattan zur Marie’s Crisis Bar fahren – einer Pianobar, von der ich las und die sehr nach netten Pfirsichen klang. Der Masterplan ging schon deshalb zu Grunde, weil die Sonne unterging während ich in der Ubahn unterm East River steckte. Ich hatte die Umleitung due to construction verpeilt und war nicht rechtzeitig ausgestiegen. Pah, das nehme ich als Zeichen des Himmels, dachte ich mir. Schau ich mir stattdessen eben die Freiheitsstatue von Manhattan aus an. Vielleicht kriege ich noch ein hübsches Foto in der Abenddämmerung.
Nun war mir nicht klar, wie weit Miss Liberty vom Festland entfernt ist. Auf dem Foto (dank der Fackel oder besser gesagt Funzel) gerade so identifizierbar – mehr aber auch nicht. Die Bahn, die mich vom untersten Zipfel der Insel so passend bis zur Pianobar hätte bringen sollen, war komplett gesperrt und der Bus, in den ich stieg, fuhr dermaßen Schlangenlinien, dass ich nach fünf Minuten komplett die Orientierung verloren hatte. Da die Stationen weder angezeigt, noch verkündet werden, stieg ich irgendwo blind aus, wo es nach Nachtleben aussah und war zu meiner Überraschung noch nicht einmal annähernd im Radius meines Ziels. Auf der Suche nach einer Bahnstation, die mich weiter in Richtung Midtown bringen könnte, lief ich an etlichen netten Bars vorbei und beschloss spontan, einfach in dieser Hood zu bleiben, anstatt weiter umher zu irren. Also schrieb ich die Piano Bar vorerst ab und ging essen. Vor Allem um eine solide Ernährungsgrundlage für den planmäßig langen Abend zu schaffen.
Allein essen gehen ist echt öde. Ich saß zwar nicht an einem Einzeltisch sondern an einer Tischleiste vor der mexikanischen Kochinsel, war aber links von einem frisch verliebten Pärchen und rechts von drei Selfie-schießenden Woo-Girls umgeben, sodass ich, anstatt Konversation zu betreiben, nur der Köchin vor mir beim Tacos pressen zuschaute und versuchte, mit ihr eine tiefe nonverbale Verbundenheit zu entwickeln. Um meine innere Kokosnuss zu knacken bestellte ich einen Cocktail zum Essen, der sich plötzlich verdoppelte, weil der Kellner eine andere Bestellung verwechselt hatte und dachte, er täte mir einen Gefallen. Dachte ich auch, bis ich merkte, dass ich nach dem zweiten Drink zwar locker genug war, den schönsten Pfirsich des Landes zu pflücken, mich aber nicht im Stande sah, in irgendeiner Bar noch einen weiteren Drink zu bestellen ohne umzufallen.
Ich hatte ziemlich einen sitzen, kriegte plötzlich kalte Füße und brauchte vielleicht eine Ausrede, doch keine Fremden anzusprechen. Schließlich hätte ich auch etwas Alkoholfreies bestellen können. Mir war aber nicht mehr nach Gesellschaft. Ich fühlte mich vereinsamt wie der letzte Gast einer Outback-Kneipe, der in sein leeres Glas starrt und dem Barmann von seinem unbedeutenden Leben erzählt. Der Barmann würde sich natürlich nur zähneknirschend das Ohr abkauen lassen, sich aber heimlich die Hände reiben, weil der Alkoholkonsum dieses Gastes ihm seit Jahren die ungeplanten Kinder finanziert. So oder so ähnlich fühlte ich meine Rolle gegenüber der Taco-Dame und ihren potentiell ungeplanten Kindern, also schmiss ich meine Abendplanungen kurzerhand um.
(via GIPHY)
Auf dem Heimweg stieg ich an der Brooklyn Bridge aus und lief zu dem Spot, der eigentlich mein Sonnenuntergangsfoto hätte werden sollen. Selbst im Dunkeln ist die Skyline wunderschön, auch wenn sie mir an diesem Abend so unerreichbar wie nie zuvor erschien.
Das Schöne an dieser Geschichte ist aber, dass das das einzige und letzte Mal war, dass ich an einem Samstag nicht wusste wohin mit mir. Direkt am Montag danach machte ich meine allererste Bekanntschaft. Und zwar so sehr im New York Style, dass die Story bestimmt Hollywood-Filmpotential hätte, mindestens aber als Humans of New York Feature gedruckt werden könnte. Ich saß nach der Arbeit bei strahlendem Sonnenschein auf einer Bank im Tompkins Square Park, wälzte meinen New York Guide durch und beobachtete Passanten. Als ich gerade meine Sachen zusammenpacken wollte, um ein ausgesuchtes Café zu besuchen, sprach mich ein Typ von der Seite auf mein Buch an: “300 Reasons to love New York? What would that be?” “That’s what I’m trying to find out”, antwortete ich. So der Opener einer fast zweistündigen Konversation. Über Hillary, Trump, Merkel, die Flüchtlingskrise, meinen Job, seinen Job, über viele Gründe New York zu lieben und Heimat im Allgemeinen. Wie zwei Pfirsiche kamen Jonathan und ich ins Gespräch und wie zwei offene Kokosnüsse palaverten wir über die Antwort auf alle Fragen. Flüchtig, nett und Entschädigung genug für den vergangenen Samstagabend.
In der selben Woche meldete ich mich in einer Tanzschule an. Ich war schon in Berlin im Training und wollte einfach am Ball bleiben. Ich dachte vorher, dass ich das Tanzen in Berlin am meisten vermissen würde. Ganz im Gegenteil – das Tanzen in New York wurde für mich die größte Verlockung zu bleiben. Ich habe dort wahnsinnig viele großartige Menschen kennen gelernt, mich sehr schnell verbessert und wurde so herzlich in der Community aufgenommen, dass es mir fast das Herz brach, mich im November verabschieden zu müssen. Das Tanzen war die beste Entscheidung, die ich treffen konnte und im Übrigen waren damit auch viele meiner Wochenenden besiegelt. Wenn ich nicht gerade mit meinen Freunden nach Albany oder Chicago flog, um an Wettbewerben teilzunehmen, trafen wir uns meistens in den shady Clubs von Brooklyn, um den Dancefloor aufzumischen.
Hätte ich es ahnen können, als ich einsam in Brooklyn stand und gedankenverloren auf die im Dunkeln pulsierenden Lichter der Skyline gegenüber schaute? Ich kann mich so gut an das Gefühl erinnern. Alleine zwar, aber wissend, dass mich diese Stadt verdammt glücklich machen würde. Neugierig auf die vielen Freunde, die ich finden würde. “Big times ahead!” zwinkerte mir die Front der Skyscraper zu. “You go gurl. You’re totally gonna rock it!”
Viel später habe ich doch noch meinen Weg zur Piano Bar gefunden. Es gibt wenige Orte, die das Facettenreichtum, die Einzigartigkeit und Absurdität Manhattans dermaßen repräsentieren, wie das Marie’s Crisis Café. Wo man sich auf bezaubernde Art und Weise gleichzeitig fremd und willkommen fühlt. Maries Crisis ist eine Bar in einem Souterrain in Midtown mit tiefen und lichterkettenbehangenen Decken. In der Mitte steht ein Klavier, um das sich alle Gäste tummeln und inbrünstig Broadwaysongs singen. Der Pianist selbst war ein älterer Herr mit wenig Haar und noch weniger Zähnen, der aber noch ordentlich in die Tasten haute. Unter der Treppe am Eingang saß ein noch betagteres Exemplar, dass mit beeindruckender Lungenkraft daher trällerte und gelegentlich zwischen den Songs in sein Stofftaschentuch röchelte und ein bisschen Schnodder abwischte. Aber die Stimme? Spot on! Ich war begeistert. Da stand ich und staunte. Und fand, dass das stereotypische Schubladendenken, das ich permanent zu beweisen und zu widerlegen versuchte, hier absolut nicht anwendbar ist. Auch schön. Noch schöner: Marie’s Crisis habe ich nicht allein besucht, sondern in Begleitung und bester Gesellschaft.
1. Teil: New York: Auf den Spuren der großen Träume
2. Teil: New York: Der Puls des Lebens. Verliebt in eine Stadt
3. Teil: Von Pfirsichen und Kokosnüssen: Wie man in New York Freunde findet (und wie nicht)
(aktueller Artikel)
4. Teil: Ob ich mich jetzt eine New Yorkerin nennen darf
Gastbeitrag: Meike Wüstenberg, Studentin
Fotos, Video: Mary, GIPHY, Pexels
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