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Ob ich mich jetzt eine New Yorkerin nennen darf

Es gibt nur einen Weg, ein Berliner zu werden. Mann muss in Berlin geboren sein. Wenn nicht geboren, dann zumindest aufgewachsen. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Berliner Umland zählt nicht und es gilt auch keine Frist, die in Berlin abgesessen werden könnte, um zu konvertieren. Zugezogene mögen sich Neu- oder Wahl-Berliner schimpfen, werden aber von gebürtigen Berlinern grundsätzlich nicht anerkannt. In einzelnen Ausnahmefällen darf der Ausdruck “Quasi-Berliner” verwendet werden, um einem Wahl-Berliner für seine Treue Ehre zu erweisen.

Eine Haltung, die den Berlinern mit dem Titel ebenso angeboren wird. Sich dann aber als “multi-kulti” etikettieren, nur weil man den Schwaben einen ganzen Bezirk verpachtet. Naja was soll ich sagen… Ich gehöre schließlich zur selben Berliner Suppe und wie man selbst nur wenig Einfluss darauf hat, an welchem Fleck man das Licht der Welt erblickt, genauso unmöglich ist es, das Berlinersein jemals abzulegen. Isso.

Ganz anders aber in New York City. New Yorker kann jeder werden, dem New York gefällt und der vor hat, einen Lebensabschnitt dort zu verweilen. Was den Puls New Yorks schlagen lässt, sind nicht nur die Menschen, die sich innerhalb dieser Stadt bewegen. Das sind auch die Zu- und Wegziehenden, die Gäste und Reisenden, die Angekommenen und die Fliehenden. Sie kommen und gehen, als würden die Flughäfen unter Schnappatmung leiden. Als ich also bei meiner Ankunft mit meinem roten Blutköfferchen einen Menschenstau in der Pennstation verursachte, riskierte ich wahrscheinlich einen schweren Schlaganfall oder eine ernstzunehmende Makrozirkulationsstörung der Infrastruktur New Yorks. Nicht auszudenken…

Die Leute in New York kommen von überall her, werden herzlich willkommen geheißen, finden Anschluss und lassen sich bald ritterlich zum New Yorker schlagen. Und das größte Glück eines New Yorkers ist es, Leute kennenzulernen, die ebenfalls von überall herkommen, die man willkommen heißen, Anschluss bieten und irgendwann ritterlich zum New Yorker schlagen darf. Ist das nicht ein wunderbarer Kreislauf?

 

Wenn ich noch einmal in Schubladen denken darf, und das ist ja bekanntlich eine meiner Spezialitäten, so scheint es, dass man Berlinern recht leicht einen Stempel aufdrücken kann. Tatsächlich wurde ich in New York von einem anderen deutschen Praktikanten, der scheinbar keine großen Stücke auf Berlin hält, ebenfalls zum Katalog-Berliner erklärt. Große Klappe, bestimmt vegan (So’n Matcha-Smoothie ist bestimmt auch voll dein Ding!), garantiert technosüchtig und mit Sicherheit trage ich stolz meinen Turnbeutel durch Kreuzkölln aka Kreuzkotze oder Kotzkölln, je nachdem zu welchem Lager ich mich bekennen mag.

In New York bin ich erneut mit meiner Stereotypisierung gescheitert, nicht nur was Pfirsiche und Kokosnüsse betrifft. Und wieder ist die gescheiterte Suche der bessere Fund. Ich lüge nicht – in New York gibt es keinen Menschen zwei Mal.

Was es aber mehr als zwei Mal gibt, ist ein bestimmter Schriftzug in Tinte unter der Haut verewigt. “Only God can judge me”. In allen Größen und Schriftzügen an allen Körperstellen, die man sich vorstellen kann. Was Tattoos betrifft kann mich nichts mehr schocken. Ich habe alles gesehen. Diese Fotoserien der schlimmsten Tattoos, die meistens auf Facebook, 9gag und Co. gepostet werden, in der Regel mit der Caption “How to not get a job 101”? Dieser Schlag Mensch wird in meiner Hood in Brooklyn ausgebrütet. Garantiert. Sesamstraßen-Elmo mit einem Maschinengewehr in der Hand. Untertassengroß auf dem Oberarm verewigt. Ein zerknitterter Dollarschein in Originalgröße vorne auf dem Hals. Unzählige Namen. Unzählige Oma-Portraits, gerne in üppigen Dekolletés. Leoparden-Prints. Erschreckend viele Tattoos im Gesicht. Die Motive so willkürlich als wären sie die Strafe einer verlorenen Wette (Sesamstraßen-Elmo!) oder ein Kindertattoo aus den 90ern, dass sich nicht mehr abgewaschen hat (Sesamstraßen-Elmo! Mann! Ich bin fast aus den Socken gekippt!).

Back to Topic. Darf ich mich denn jetzt eigentlich einen New Yorker nennen? Ausgehend von einer legendären amerikanischen Sitcom, gibt es vier Bedingungen, die einen zu einem echten New Yorker machen. Kurz zur Erklärung, die Rede ist hier von How I Met Your Mother. Robin, gebürtige Kanadierin, will endlich so richtig dazu gehören und nicht mehr als Immigrantin gelten. Ihre Freunde kommen also auf vier Punkte, die auf der Bucketlist abgestrichen werden müssen, bevor sie ein echter New Yorker ist.

  1. See Woody Allen
  2. Steal a cab from someone who needs it more than you
  3. Cry on the Subway and not give a damn what anyone thinks
  4. Kill a cockroach with your bare hand

Spoiler Alert – ich hab’s nicht geschafft. Ich war oft nah dran und trotzdem nicht einmal annähernd.

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1. Woody Allen. Nein, verdammt! Wie konnte ich mir das entgehen lassen? Immerhin wüsste ich, wo ich nach ihm suchen müsste. Er frühstückt gern im Barney Greengrass auf der Upper Westside und wird hin und wieder im Carlyle Restaurant erspäht, wenn er Klarinette spielt, denn er ist leidenschaftlicher Jazz-Musiker. Zwar nur ein durchschnittliches Talent, aber wen kümmert’s welches Instrument dieser Gott der Filmschaffenden beklimpern möchte…

Statt Woody Allen, bin ich zwar in Leo DiCap reingelaufen, aber das erfüllt das Kriterium leider nicht.

2. Taxi-Klau. Auch nicht! Die Episode wurde aber auch 2010 ausgestrahlt, lange bevor Taxis von der Uber-App lahm gelegt wurden, vielleicht sollte diese Liste also mal modernisiert werden. Uber ist wirklich eine feine Erfindung. Über die App gibt man den Standort und die Zieladresse ein und bekommt innerhalb von wenigen Minuten einen Fahrer zugeschickt. Die Bezahlung erfolgt bargeldlos und der Preis wird vorab in der App angezeigt. Ich habe zwar niemandem ein Uber geklaut, der es nötiger hatte als ich. Ich habe allerdings einmal versehentlich nach einer Galaveranstaltung, auf der ich gearbeitet habe, einen prominenten Gast ins falsche Uber gesetzt. Ups!

3. In der Subway hemmungslos heulen. Check.

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4. Eine Kakerlake mit bloßer Hand erschlagen. Ganz ehrlich, das habe ich meiner Vermieterin überlassen, die zweifelsohne in jeder Hinsicht die echteste New Yorkerin der Welt ist. Wenn es mit nacktem Fuß auch zählt, bin ich aber auch selbst schon sehr nah dran gekommen.

Nichts ahnend kam ich eines späten Abends mit einer Freundin nach Hause, machte die Zimmertür auf und tapste im Dunkeln zum Lichtschalter. In dem Moment, in dem das Licht anging, krabbelte eine Kakerlake direkt an meinem nackten (!) Fuß entlang, erschreckte sich mindestens so sehr wie ich und raste unter den Schrank. Ich bin vor Ekel fast an die Decke gegangen und hätte mir am liebsten auf der Stelle den Fuß abgehackt, bevor er mir vor meinen Augen wegfault.

Von meinem Schrei dürfte das ganze Haus wach geworden sein. Kakerlaken sind die widerlichsten Kreaturen, die ich mir vorstellen kann und die Tatsache, dass die sich in New York verdammt wohl fühlen und offensichtlich prächtig und in Massen reproduzieren, macht mir diese Stadt sehr viel weniger attraktiv.

So. Und jetzt das. Meine Freundin und ich ratlos. Meine Vermieterin Gerry, die stets beteuerte, dass sie dafür sorgen würde, dass ich mich in New York sicher fühle, eilte alarmiert die Treppe hoch und fragte, ob bei uns alles in Ordnung sei. Blöde Frage! Gerry stapfte in aller Seelenruhe wieder weg, als müsste sie erst ihr Superhelden-Cape aus dem Schrank holen. Nina und ich hielten tapfer die Stellung und ließen die Schrankspalte nicht aus den Augen. Mit einem Killer-Spray gerüstet, bückte sich Gerry sich unter den Schrank und begann ein nettes Gespräch mit der kleinen Kakerlake.

“Hey tiny creature, where are you? Are you there? Look, you can not live with us, because you are upsetting the girls. That’s sad, but you can not stay. I do apologize.” Und dann sprühte Gerry der Länge nach großzügig unter die Kommode.

“It’ll come out tired and probably die”, sagte Gerry und während sie uns noch erklärte, wie das Zeug wirken sollte und dass ihr Verlobter Scott die Kakerlaken einfach erschlagen würde (Aha! Ein echter New Yorker!), aber sie das einfach nicht übers Herz bringen könne, schoss das Monster unter dem Schrank hervor, direkt zwischen Gerrys Füße. Die redete und redete und merkte das gar nicht, während Nina und ich hysterisch quietschten und mit wedelnden Armen auf Gerrys Füße zeigten. Bis die das kapiert hatte, war die Kakerlake unter der nächsten Kommode verschwunden. Nina und ich rangen nach Luft. Gerry sprühte das Teufelszeug unter die Kommode.

“I am so sorry. I am so sorry, but you can not stay. This is terrible and I apologize. I swear, I don’t mean you any harm. But the girls can not have you live in their room. What can I do?”

Ich versicherte Gerry, dass sie dafür garantiert in den Himmel käme und sie ein wahrer Engel sei. Gerry antwortete energisch: “Well! I certainly don’t feel like one right now!”

Ganz schwach kämpfte sich das arme Tier unter der Kommode hervor. Ritterlich erklärte Gerry: “I am going to finish him. I am sorry, precious creature, but I have to finish you. You’ll be better.”

Und dann hat sie das Ding erledigt, mit Taschentüchern zugedeckt und würdevoll im Klo runtergespühlt. Da legte sich unser Puls und Nina und ich brachen gleichzeitig in Lachen aus. Bevor wir ins Bett gingen, machte Nina ihre Koffer zu. Besser nichts riskieren.

Das Fazit meines New York – Aufenthalts

Aus vier Bedingungen habe ich nur eine und drei Halbe. Wenn überhaupt. Ein mageres Ergebnis. Als ich mich im November von meinen New Yorker Freunden verabschieden musste, wollten sie mich trotzdem nicht wirklich hergeben. Ich bekam einen freundlichen Heiratsantrag, zwecks Greencard-Bewerbung. Will sagen, ich bekam einen Heiratsantrag, damit ich in New York bleiben könnte. Ich bekam recht bald drei weitere, nachdem Donald Trump in einer die Welt erschütternden Nacht zum Präsidenten gewählt wurde und circa 80% New Yorks in einer Art posttraumatischem Schockzustand alle Möglichkeiten in Betracht ziehen musste, das Land zu verlassen.

So wie ich am Anfang als New York Neuling alles eingesogen hatte und staunend jeden Anblick bewunderte, war ich zum Schluss in dem Modus, jeden Moment zu konservieren und bin ganz nostalgisch an jedem Ort stehen geblieben, den ich schon kannte. Jedes Mal, wenn ich mit Gerry gesprochen habe, hat sie mir erklärt, wie wichtig es ist, das Leben zu genießen. Make Memories, sagte sie immer. Create memories while you’re here. Und ich denke, dass ich mich dabei ziemlich gut angestellt habe. Ich habe großartige Erinnerungen an eine Wahnsinnszeit.

Der Abschied war sehr schmerzlich. Und gleichzeitig bin ich froh darum, wie glücklich ich dort war. Ich bin sicherlich noch nicht fertig mit dieser Stadt. Wer weiß, vielleicht kann ich zu einer anderen Zeit noch einmal länger dort leben. Genug Türen hält mir die Stadt jedenfalls offen. New York war die vielleicht schönste Zeit meines Lebens. Bis jetzt! Ich kann nur ahnen, wie viele schönste Zeiten mir noch bevor stehen. Und wenn ich so darüber nachdenke, wie glücklich mich diese Erfahrung gemacht hat, dann kann ich das nächste Abenteuer kaum erwarten.

Heute vor einem Jahr war für mich noch nicht einmal an New York zu denken. Von nun an schwelge in meinen frisch created memories. Euch allen ein aufregendes Jahr 2017.
Seien wir gespannt auf das, was das neue Jahr für uns bereit hält.

1. Teil: New York: Auf den Spuren der großen Träume

2. Teil: New York: Der Puls des Lebens. Verliebt in eine Stadt

3. Teil: Von Pfirsichen und Kokosnüssen: Wie man in New York Freunde findet (und wie nicht)

4. Teil: Ob ich mich jetzt eine New Yorkerin nennen darf
(aktueller Artikel)

 

geschrieben von Meike Wüstenberg

Fotos: Mary
gifs: GIPHY

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