Loading
Strawberry Bubblegums

Die Suche nach der Identität

 

Wie soll man auch unter 14 möglichen Vätern den richtigen finden? Frank Stahl? Claus Cocks? Henning Hardcore? Udo Ochsenschwanz? Mia’s Suchergebnis aus dem Internet hat einige alberne Kreationen zu bieten – nur nicht die Antwort auf die eine Frage. Am Liebsten würde Lucy aus dem Alptraum wieder aufwachen und ein ganz normaler Teenager sein. Aber anstatt in der Verzweiflung zu versinken, wächst bei Lucy die Neugier nach dem Unbekannten. Aus diesem Grund beschließt sie zusammen mit Mia den geheimnisvollen Udo Ochsenschwanz (André M. Hennicke) zu überreden, ihr bei der Suche nach dem leiblichen Vater zu helfen. Auf einem klapprigen Moto Guzzi beginnt schließlich, zusammen mit dem aufgemotzten Porno-Darsteller Udo, Lucy’s Reise ins Ungewisse, wo sie nicht nur die Porno-Welt, sondern auch sich selbst kennenlernt.

Lucy (Gloria Endres de Oliveira) ist 17, möchte Schauspielerin werden und lebt in einer normal-verrückten Familie. Alles um sie herum scheint gerade zu stimmen, naja bis auf das Thema „Kerle“ und die Tatsache, dass ihre Freundin Mia (Eva Nürnberg) sie wegen ihrer Jungfräulichkeit wirklich nervt. Dabei kann sie doch nichts dafür, dass sie noch nicht den richtigen getroffen hat. Als wäre aber das Erwachsenwerden nicht schon anstrengend genug, erfährt Lucy eines Tages auch noch, dass ihre Mutter Paula (Jasmin Tabatabai) sie Jahre lang belogen hat. Denn Lucy wurde nicht am Strand von Sri Lanka, sondern am Pornoset im verregnetem Hamburg gezeugt. Für einen Teenager wie Lucy wahrscheinlich das peinlichste was einem widerfahren konnte. Während Freundin Mia diese Vorstellung ziemlich cool findet, ist Lucy am Rande der Verzweiflung.

 

“Endlich mal ein Film für Menschen,
die glauben, alles schon zu kennen”
– Tittelbach

Wie seid ihr auf diese besondere Geschichte gekommen und was hat euch inspiriert ?

Ben: Cherokee und ich haben sehr eng zusammengearbeitet, aber das Drehbuch hat sie geschrieben. Als wir an der Uni gerade unseren Abschlussfilm „Fliehkraft“ zusammen machten und alles in der Vorproduktion ein bisschen schwierig lief, kam Cherokee eines Tage in unser Produktionsbüro und hat gesagt: Lass einfach was über einen alten Pornostar machen. Und daraufhin habe ich gesagt: Geile Idee, machen wir nach dem Studium. Da hatte ich schon de Idee für eine Szene. Später wurden Udo und Lucy draus und wir haben viel über die Figuren die Geschichte entwickelt.

Es geht in dem Film um die Suche nach dem leiblichen Vater und Identität. Was bedeutet für dich das Thema? 

Ben: Cherokee und ich beschäftigen uns als Autoren/Regie-Team viel mit dem Thema. Mich interessieren solche Fragen wie: Wo komme ich her? Warum bin ich wie ich bin? Werden oder sind wir wie unsere Eltern? Das finde ich spannend und sehr universell. Es macht mir Spaß darüber zu erzählen.

Mit dem gesamten Film verteufelst du nicht die Pornobranche, aber verschönerst es auch nicht. Wie schafft man diesen äußerst komplizierten Spagat ? 

Ben: Ich wurde im Vorfeld viel mit der Frage nach meiner Haltung zum Thema Porno konfrontiert. Ich konnte darauf nie eine so eindeutige Antwort geben und habe mich dann immer schlecht gefühlt, als müsste ich eine eindeutige Antwort bzw. Haltung dazu haben. In der Vorbereitung und Recherche zum Film habe ich viel gesehen und gelernt. Es gibt Menschen, die Porno gerne und freiwillig und selbstbestimmt machen. Aber es gibt auch welche, die traumatisiert sind und das eben nicht freiwillig machen. Mir war es wichtig einen Film zu machen, der weder erzählt: Porno ist teufelszeug, aber auch keinen der sagt: bitte macht alle Pornos, damit könnt ihr euch sexuell befreien. Ich habe versucht viele Seiten der Industrie zu zeigen. Und dazu gehören gute wie auch schlechte.

Am Anfang des Films findet Lucy heraus, dass ihre Mutter Paula sie Jahre lang belogen hat. Lucy verarbeitet die Neuigkeit mit der Suche nach ihrem leiblichen Vater. Wie würdest du als Gloria mit so einer Nachricht umgehen?

Gloria: Ich habe selbst sowohl schon in Lucy’s, als auch in Paulas Schuhen gesteckt – das heißt, ich wurde selbst schwerwiegend angelogen und habe selbst auch schon einmal etwas verschwiegen, was ich nicht hätte verschweigen sollen. Wenn ein Vertrauensbruch vorkommt, ob nun in einer Freundschaft, Liebesbeziehung oder in der Familie, muss man für sich herausfinden, ob es möglich ist, dieses Vertrauen irgendwie wieder aufbauen – dann muss man versuchen, nachzuvollziehen, wie es zu diesem Vertrauensbruch kam, warum es die andere Person für besser hielt, zu lügen oder zu schweigen. Das ist natürlich, je nach Fall, nicht leicht und erfordert viel Empathie auf beiden Seiten. Lucy jedenfalls findet letztendlich heraus, dass die Lüge ihrer Mutter die Liebe und Fürsorge, die sie in ihren 18 Lebensjahren durch Paula erfahren hat, nicht mindert. Durch diese Krise kommt sie ihrer Mutter letztendlich näher.

In Strawberry Bubblegums gerät Lucy ungewollt in die Welt des Pornos. Wie war es für dich in diese Welt zu blicken? 

Gloria: Bevor ich durch Strawberry Bubblegums damit konfrontiert wurde, war ich, meiner Unwissenheit geschuldet, ziemlich naiv dem Thema Porno gegenüber eingestellt – getreu dem Motto „Solange es freiwillig passiert, kann doch jeder tun und lassen, was er/sie möchte!“

Im Zuge meiner Recherche hat sich meine Sicht jedoch gewandelt. Ich habe leider herausfinden müssen, was für eine menschenverachtende Welt die Mainstream-Pornoindustrie zum Großteil ist – es ist unglaublich, wie viel Nötigung an normalen, angeblich auf Einvernehmlichkeit wertlegenden Pornosets stattfindet – und als Zuschauer wird man im Nachhinein nicht beurteilen können, ob während eines Drehs Nötigung, Gewalt, Erpressung, soziale oder finanzielle Zwänge im Spiel waren. Natürlich ist eine gesunde Neugier auf Sexualität völlig legitim – und Kritik an Porno will niemandem das Recht auf das Ausleben dieser Neugier nehmen. Aber ich würde eine sexuelle Aufklärung begrüßen, die die im Porno dargestellten Stereotype kritisch im Blick behält und ein differenzierteres Bild von Sexualität vermittelt.

SEO NAME
SEO NAME
SEO NAME
SEO NAME
SEO NAME

Was hat dich bei der Recherche für den Film am meisten schockiert? 

Ben: Wenn ich ehrlich bin, hat mich nicht sehr viel schockiert, weil ich sehr offen an das Thema herangegangen bin. Ich wollte auch keine krassen Sachen in den Film reinnehmen, weil es mir nicht darum ging einen Film zu machen bei dem Porno die Sensation ist. Das wäre mir zu wenig. Ich denke immer im Sinne der Figuren. Ich will dass der Zuschauer mit ihnen mitgeht und fühlt und nicht am Ende des Films sagt: Krass, waren da viele Ärsche, Schwänze und Titten zu sehen.

Gibt es im Film eine Szene die dich ziemlich getroffen hat oder die besonders schwer zu drehen war?

Gloria: Ja, und zwar der Pornodreh über dem Schreibwarenladen. Die Atmosphäre an diesem Set war für mich unheimlich beklemmend – das kalte, industrielle Szenenbild, die vielen halb-nackten Komparsen in Sturmhauben, die im Kreis um die liegende nackte Schauspielerin herumstanden. Dieses Bild ging mir am Abend nach dem Dreh nicht mehr aus dem Kopf und raubte mir den Schlaf. Jedoch war dies auch ein doppelter Schlüsselmoment für mich – zeitgleich mit Lucy begriff ich in dem Moment bewusst, in was für einer Welt sie gezeugt wurde, das Ausmaß ihres Problems. Solche Industriepornosets existieren übrigens verstörenderweise tatsächlich – die Doku „Herr Eppert sucht den Pornostar“ beispielsweise zeigt ein solches.

Bei ganz genauem Hinsehen, werden in dem Film auch Anspielungen auf andere bekannte Filme gemacht. Welche sind es ?

Ben: Ja, wir haben sehr viele Anspielungen auf andere Filme. Weil Lucy ja auch gerne Schauspielerin werden möchte, ist ihr komplettes Kostümbild inspiriert von anderen Filmen. Ob „Léon – Der Profi“, „Lost in Translation“, „Basic Instinct“ oder Thelma & Louise“. Diese und noch vieles mehr kann man bei uns entdecken.

Was ist deiner Meinung nach die Stärke von Strawberry Bubblegums? 

Ben: Ich mag es, dass Tragik und Komik so eng zusammenliegen, dass es uns gelungen ist einen poetischen Realismus und eine eigene Welt zu kreieren. Für mich ist das Drehbuch und der Cast als Grundlage und Sockel des Films eine der größten Stärken. Und ich mag auch die enge Zusammenarbeit zwischen Kamera (Niklas Lindschau), Kostüm (Judith Szillus), Szenenbild (Tim Tamke) und mir. Es ist ein Herzensprojekt. Und ich habe das Gefühl der Zuschauer spürt das.

 

Der Film erinnert einen häufig an einen bunten aber gleichzeitig tiefgründigen amerikanischen Coming of Age-Roadmovie. Irgendwie fehlt Deutschland dieses Genre. Glaubst du deutsche Filmproduktionen haben Bedenken solche Filme zu produzieren ?

Ben: Es ist für mich eine große Ehre, dass du den Film so siehst und beschreibst. Wir haben nicht versucht einen amerikanischen Film zu drehen bzw. „nachzudrehen“, sondern zu gucken, wie man es hinbekommen könnte, einen Film mit einem deutschen Indie-Spirit zu machen. Ich glaube nicht, dass es bedenken gibt solche Filme zu produzieren, weil amerikanische Indie-Filme wie „Little Miss Sunshine“ oder „Juno“ schaut ja jeder gerne. Und danach wird auch immer gesucht, weil die Verbindung von Anspruch und trotzdem keine Angst davor dem Publikum zu gefallen ja super ist. Das zu finden ist nicht einfach. Einige Filme sehen sehr gleich aus oder man sieht sofort wie sie gemeint sind und was die Absicht dahinter war, das Kalkül. So etwas langweilt mich persönlich. Da fehlt mir das echte Herz. Manchmal ist es auch schwierig seine Vision durchzusetzen. Man muss im Entstehungsprozess eines Films eben auch manchmal stark auf sein „Baby“ aufpassen, dass es nicht zu einer „Ausgeburt“ wird. Denn wie Lucy zu Udo sagt: ein Drehbuch ist noch lange kein Film.

Du hast ein enormes komödiantisches Talent und es macht wirklich Spaß dir zuzuschauen. Was ist deiner Meinung nach der Trick?

Gloria: Vielen Dank für die lieben Worte! Ich selbst dachte früher immer, dramatische und traurige Stoffe seien mir vorherbestimmt – aber an der Schauspielschule merkte ich plötzlich, wie sehr mir das Komödiantische liegt und mit meinen Quatschnummern erheiterte ich meine Kommilitonen und Lehrer ziemlich oft. Getreu dem Motto „Humor ist wenn man trotzdem lacht“ interessiert es mich, das Komische in tragischen Momenten zu suchen und andersherum. Die Situationen, über die wir in einem Moment weinen, sind oftmals die selben, über die wir in einem anderen Kontext lachen könnten.

 

Vielen Dank am Ben und Gloria für das wirklich nette Gespräch bzw. die vielen interessanten Geschichten und Erfahrungen, die ihr mit Oh Walley geteilt habt.

geschrieben und fotografiert von Mary

Leave a comment

*